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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 31.01.2008
Aktenzeichen: 16 K 343/07
Rechtsgebiete: EStG, SGB III


Vorschriften:

EStG § 62 Abs. 2
SGB III § 144 Abs. 1 Nr. 1
SGB III § 144 Abs. 3
Kindergeld ist nach deutsch-jugoslawischem Sozialabkommen auch während einer Sperrfrist für den Bezug von Arbeitslosengeld zu gewähren.
Finanzgericht Niedersachsen

16 K 343/07

Tatbestand:

Der Kläger ist serbischer Staatsbürger und im streitbefangenen Zeitraum (Mai und Juni 2006) Vater von zwei minderjährigen Kindern. Ausländerrechtlich wurde sein Aufenthalt geduldet. Der Kläger war zunächst sozialversicherungspflichtig beschäftigt und bezog deshalb Kindergeld nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (im folgenden: deutsch-jugoslawisches Sozialabkommen). Da er zum 18. April 2006 seinen Beruf aufgab, wurde gegen ihn gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 SGB III eine 12-wöchige Sperrfrist für den Bezug von Arbeitslosengeld I verhängt. Erst ab dem 12. Juli 2006 wurde Arbeitslosengeld I gewährt.

Nachdem die Familienkasse von der Arbeitsaufgabe Kenntnis erlangte, hob sie mit Bescheid vom 18. Dezember 2006 die Kindergeldfestsetzung für die Zeiträume Mai und Juni 2006 auf und forderte das für diese Zeit gezahlte Kindergeld in Höhe von 616,- EUR zurück.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein, den die Familienkasse mit Einspruchsbescheid vom 8. August 2007, der in der Kanzlei der Bevollmächtigten am 10. August einging, zurückgewiesen hat.

Am 11. September 2007 ging bei Gericht ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine angeblich am 14. August 2007 erhobene Klage ein. Auf den Hinweis des Gerichts mit Verfügung vom 13. September 2007, dass dort keine Klage eingegangen sei, stellte der Prozessbevollmächtigte im Hinblick auf das dort am 19. September 2007 eingegangene Schreiben des Gerichts am 4. Oktober 2007 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen begründete er damit, dass er die Klageschrift am 14. August 2007 im Computer abgespeichert und in die Ausgangspost gegeben habe. Im Anschluss daran sei die Frist sowohl im elektronischen als auch im manuellen Fristenkontrollbuch gelöscht worden. Seine Büroangestellte habe die Postsendung ausreichend frankiert am selben Tage beim Postamt abgegeben. Dies wird von der Angestellten mit eidesstattlicher Versicherung bestätigt. Den Kläger habe der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 15. August 2007 von der Klageerhebung in Kenntnis gesetzt.

In der Sache verweist der Kläger darauf, dass die Sozialagentur des Landkreises N für den streitbefangenen Zeitraum Leistungen nach dem SGB II gewährt und dabei Kindergeld für die Monate Mai und Juni 2006 in Anrechnung gebracht habe. Wenn kein Kindergeldanspruch bestanden habe, wären höhere Sozialleistungen zu gewähren gewesen. Die Rückforderung wäre mit den höheren Leistungen nach dem SGB II intern zu verrechnen.

Der Kläger beantragt,

den Kindergeldbescheid vom 18. Dezember 2006 und die Einspruchsentscheidung hierzu aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die Klage für zulässig, weil der Kläger Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht habe. Er meint jedoch, dass materiell-rechtlich das Kindergeld für die Monate Mai und Juni 2006 zu Recht aufgehoben worden sei. Rechtsgrundlage für die Kindergeldzahlung an den Kläger sei das deutsch-jugoslawische Sozialabkommen. Dieses setzte aber nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 voraus, dass eine Person nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhalte. Das sei hier jedoch nicht der Fall, weil gegen den Kläger eine Sperrfrist verhängt worden sei.

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig.

Der Kläger hat zwar nicht innerhalb der Klagefrist von einem Monat (§ 47 FGO) gegen den Einspruchsbescheid vom 8. August 2007 Klage erhoben, sondern erst am 4. Oktober 2007.

Dem Kläger ist jedoch nach § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gem. § 56 Abs. 2 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung glaubhaft zu machen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat durch Vorlage seines Postausgangsbuchs und einer eidesstattlichen Versicherung seiner Angestellten hinreichend glaubhaft gemacht, die Klageschrift am 14. August 2007 und damit rechtzeitig innerhalb der Klagefrist zur Post aufgegeben zu haben. Geht ein Schriftstück auf dem Postwege verloren und wird deshalb eine gesetzliche Frist nicht eingehalten, liegt ein die Wiedereinsetzung begründender Sachverhalt vor. Der Prozessbevollmächtigte hat den Wiedereinsetzungsantrag auch rechtzeitig gestellt. Der Prozessbevollmächtigte ist durch das Gericht am 19. September 2007 daraufhingewiesen worden, dass dort nur ein PKH-Antrag, nicht aber die Klageschrift eingegangen ist. Der Prozessbevollmächtigte hat daraufhin binnen der Wiedereinsetzungsfrist Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

II. Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht für seine beiden Kinder auch für die Kalendermonate Mai und Juni 2006 Kindergeld zu.

Ein Kindergeldanspruch ergibt sich allerdings nicht aus dem einkommenssteuerlichen Kindergeldrecht. Gem. § 62 Abs. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld nur, wenn er über einen der in § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EStG im einzelnen aufgeführten Aufenthaltstitel verfügt. Der Kläger war jedoch nicht Inhaber eines entsprechenden Titels. Vielmehr wurde sein Aufenthalt in Deutschland lediglich geduldet. Im Falle der bloßen Duldung besteht jedoch kein Kindergeldanspruch nach dem EStG (BFH Urteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234;vom 22. November 2007 III R 54/02, [...]).

Der Kläger hat jedoch einen Kindergeldanspruch nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968. Dieses Abkommen kommt im streitbefangenen Zeitraum zur Anwendung, weil der bis zur Unabhängigkeit des Teilstaats Montenegro am 3. Juni 2006 bestehende Staatenbund Serbien-Montenegro Rechtsnachfolger der früheren Bundesrepublik Jugoslawien ("Restjugoslawien") war. Gem. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens hat eine Person, die im Gebiet des einen Vertragsstaats beschäftigt ist und den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, nach dessen Rechtsvorschriften für Kinder, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaats gewöhnlich aufhalten, Anspruch auf Kindergeld, als hielten sich die gewöhnlich im Gebiet des ersten Vertragsstaats auf. Ein Anspruch besteht nach dem Abkommen aber auch dann, wenn sich das Kind nicht in dem anderen Vertragsstaat - hier: Serbien - aufhält, sondern in dem Vertragsstaat, in dem der Anspruchsteller beschäftigt ist - hier: Bundesrepublik Deutschland - (BFH Urteil vom 22. November 2007 III R 54/02, [...]). Satz 1 des Abkommens gilt nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 auch für Personen, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses Arbeitslosengeld erhalten.

Nach Auffassung des Senats wird im Streitfall der Leistungsanspruch des Klägers nicht dadurch ausgeschlossen, dass gegen ihn wegen der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses eine Sperrfrist nach § 144 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 SGB III von zwölf Wochen verhängt worden ist. Nach Auffassung des Senats "erhält" der Kläger auch in den Monaten Mai und Juni 2006 Leistungen der Arbeitslosenversicherung. § 144 SGB III bewirkt - im Gegensatz zu den Fällen des § 147 SGB III - kein Erlöschen, sondern nur ein Ruhen des Anspruchs auf Zahlung des Arbeitslosengelds. Dem Grunde nach steht dem Versicherten ein Leistungsanspruch gegen die Arbeitslosenversicherung weiterhin zu. Es entspricht auch nicht dem Zweck des Abkommens, in das System der Sozialversicherung integrierten Arbeitnehmern Kindergeld zu versagen, wenn allein arbeitsmarktpolitisch motivierte Regelungen wie die Verhängung von Sperrfristen bei freiwilliger Aufgabe eines Arbeitsplatzes auf den Kindergeldbezug durchschlagen. Art. 28 Abs. 1 Satz 2 deutsch-jugoslawisches Sozialabkommen ist deshalb einschränkend dahin auszulegen, dass ein Kindergeldanspruch auch in den Zeiträumen besteht, in denen gegenüber der Arbeitslosenversicherung erworbene Leistungsansprüche verbraucht werden.

Der Kläger verliert durch die Verhängung der Sperre im übrigen auch nicht sämtliche Ansprüche, weil er in den Kalendermonaten Mai und Juni 2006 nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zumindest teilweise einen durch die Arbeitslosenversicherung vermittelten Krankenversicherungsschutz genoss. Nach der genannten Vorschrift sind krankenversicherungspflichtig Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld beziehen oder nur deshalb nicht beziehen, weil der Anspruch ab Beginn des zweiten Monats bis zur zwölften Woche einer Sperrfrist ruht. Infolgedessen erhielt der Kläger ab dem 18. Mai 2006 zwar kein Arbeitslosengeld ausgezahlt, aber als Leistung der Arbeitslosenversicherung einen Krankenversicherungsschutz. Auch dies spricht dafür, dem Kläger für die Monate Mai und Juni 2006 einen Kindergeldanspruch zuzuerkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Kosten des außergerichtlichen Vorverfahrens ergibt sich aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Der Senat lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu im Hinblick auf die Frage, ob die Verhängung einer Sperrfrist für den Bezug von Arbeitslosengeld nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III einen Kindergeldanspruch nach dem Deutsch-Jugoslawischen Sozialabkommen ausschließt.

Ende der Entscheidung

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